Diversity & inclusion

“Sei dein bestes Selbst!”

Lindsay Krakauer glaubt, dass wir unser volles Potenzial nur dann entfalten können, wenn wir den Mut finden, wir selbst und verletzlich zu sein. Erst ihr eigenes Coming-out hat sie zu der Person gemacht, die sie heute ist.

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Rebecca Murr
Veröffentlicht am 8. März 2021

Lindsay Krakauer ist angekommen. Sie hat ihre Rolle als Führungskraft gefunden, die authentisch und offen ist. Das war allerdings nicht immer so. Als sie 2008 bei Siemens Healthineers im Bereich Manufacturing und Finance anfing, fühlte sie sich eher ausgeschlossen. „Es hat eine Weile gedauert, bis ich mit anderen Leuten in Kontakt kam, da sie nicht wussten, wer ich bin, als ich für die Stelle eingestellt wurde“, erinnert sie sich. Aber dann passierte etwas Einschneidendes:

Sie hatte ein Gespräch mit der neuen Finanzvorständin, um sie von ihrer Idee zu überzeugen, ein Pride-Netzwerk bei Siemens Healthineers in den USA zu gründen. „Sie fragte mich, warum ich das tun möchte, und ich antwortete: ‚Weil es das Richtige ist‘“, erinnert sich Krakauer. Und dann tat sie etwas Mutiges: Sie outete sich selbst. „Meine eigene sexuelle Orientierung war aber nicht der Grund für diesen Schritt: Es ging um viel mehr als nur um mich. Ich glaube einfach, dass wir unterschiedliche Menschen zusammenbringen und ihnen zeigen müssen, dass es andere gibt wie sie und dass sie alle zu unserem Unternehmen gehören.“

Heute leitet Krakauer die Abteilung CRM und Digital Operations bei Marketing, Sales Operations & Communications in Nordamerika. Zuvor war sie in verschiedenen Positionen als Program Manager bei Diagnostics Finance, als IT Controller, IT-Strategieexpertin und als Leiterin der Abteilung SAP Process Excellence tätig. „Diese beruflichen Erfahrungen sind unbezahlbar. Aber ich denke, dass mir vor allem meine persönlichen Erfahrungen eine andere Perspektive auf meine Arbeit gegeben haben.“

Ein Ereignis hat sie besonders geprägt: Als sie vor Siemens Healthineers in einem Krankenhaus angestellt war, hielt sie ihre sexuelle Orientierung vor ihren Kolleginnen und Kollegen geheim. Am Tag ihrer Abschiedsparty erfuhr sie jedoch, dass alle gewusst hatten, dass sie homosexuell ist. Krakauer war geschockt: „Ich konnte nicht glauben, dass ich in all der Zeit so viel von mir selbst geheim gehalten habe, obwohl ich es mit ihnen hätte teilen können.“ Sie fasste den Entschluss, dass das nie wieder passieren würde.

In der Zwischenzeit ist sie sich sicher, dass ihr erst der offene Umgang mit ihrer Sexualität geholfen hat, beruflich voranzukommen und sich persönlich weiterzuentwickeln: „Homosexuell zu sein ist ein Teil meiner Führungspersönlichkeit. Es gibt mir Mut.“ Dies war vor allem möglich, weil sie sich von Freunden und Familie akzeptiert fühlt. „Das Coming-out gegenüber den Menschen, die ich liebe, war beängstigend. Aber jede homosexuelle, transsexuelle oder andere Person aus der LGBTQ+ (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender)-Gemeinschaft macht diesen Moment mit ihrer Familie und ihren Freunden durch. Und wenn du akzeptiert wirst, ändert sich alles.“


Lindsay Krakauer

Es gibt Unterstützung, etwa in Form unseres Pride-Netzwerks oder anderer Institutionen. Diese zu nutzen, dazu möchte Krakauer ermutigen: „Viele sind diesen Weg schon gegangen. Und wir alle sollten versuchen, unser bestes Selbst zu sein“, sagt sie. „Sonst verschwenden wir unsere ganze Energie darauf, uns zu verstecken, anstatt großartige Dinge zu tun. Es muss sich niemand unbedingt outen, aber wir sollten gemeinsam eine sichere Umgebung schaffen, in der sich alle so wohl fühlen, dass sie sie selbst sein können. Andernfalls können wir nicht unser volles Potenzial entfalten.“

Lindsay Krakauer an ihrem Hochzeitstag mit ihrer Frau Michelle. Sie haben während der COVID-19-Pandemie geheiratet. Deshalb gab es nur eine kleine Hochzeitszeremonie in Tarrytown, New York.

Lindsay Krakauer on her wedding day with her wife Michelle.

Sie ist sehr achtsam geworden, wenn sie neue Menschen kennenlernt. Krakauer wählt zum Beispiel ihre Worte mit Bedacht, wenn sie sich nach Familie oder Freunden erkundigt. „Es kann ja sein, dass Eltern verstorben sind oder sie keine Kinder bekommen konnten. Ich möchte nicht, dass sie sich wie Außenseiter fühlen, bevor sie ihre Geschichte erzählen können“, erklärt Krakauer.

Ihre eigenen Erfahrungen nutzt sie heute, um anderen als Mentorin beizustehen. Eine Begegnung ist ihr dabei besonders im Gedächtnis geblieben: Sie lernte eine Managerin kennen, die ihr im Vertrauen sagte, dass sie sich nicht outen könne, da ihr Führungsteam bei einem Abendessen Witze über Homosexuelle gemacht hatte. „Sie hat sich die ganze Zeit verstecken müssen“, erinnert sich Krakauer. „Erst am Ende ihrer Karriere fand sie den Mut, es anderen zu erzählen. Ich war so stolz auf sie. Aber sie hat so viel durchmachen müssen.“ Das sei auch für Krakauer nicht einfach gewesen.

Sie selbst kennt diese Situationen auch, in denen unangemessene Witze gemacht werden. Deshalb sei es umso wichtiger, für andere einzustehen: „Wir müssen uns zusammentun und uns für den Schutz derer einsetzen, die vielleicht nicht für sich selbst sprechen können.“ Vielfalt allein werde nicht ausreichen, um dieses Problem zu lösen. „Es geht um Inklusion und Zusammenhalt. Und es muss klar sein, dass unser Unternehmen kein Ort für Ausgrenzung und Vorurteile ist.“


Lindsay Krakauer

Das ist auch Krakauers Credo, wenn es um ihr Team geht. Sie bringt Menschen mit unterschiedlichen Fachkenntnissen in den Bereichen Marketing und Verkauf sowie Datenanalyse zusammen. Als sie ihr Team aufstellte, wollte sie Personen mit verschiedenen Hintergründen und Erfahrungen zusammenbringen. Deshalb sprach sie auch mit vielen Bewerbern: „So kann ich dafür sorgen, dass ich eine wirklich gute Mischung an Kandidaten habe, die am Ende glänzen können.“

Krakauer liegt viel daran, mögliche Voreingenommenheit zu beseitigen, um die qualifiziertesten Kandidaten zu finden und einzustellen. „Diese Arbeit zahlt sich wirklich aus. Denn in einem inklusiven Team haben alle das Gefühl, dass ihnen zugehört wird und ihre Meinung wichtig ist. Sie fühlen sich sicher und wohl dabei, ihre Stimme zu erheben. Und ein solches Team kann zusammen viel erreichen“, sagt sie. „Meistens haben alle in meinem Team ein großes Mitteilungsbedürfnis. Aber sie brauchen auch den Raum und die Bestätigung, dass ihre Beteiligung gewünscht ist – und dass Diskussionen gesund sind.“

Krakauer möchte außerdem zeigen, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen, damit jeder daraus lernen kann und nicht der gleiche Fehler wieder passiert: „Wir scheitern nicht allein, sondern gemeinsam im Team“, betont sie. Das reduziere auch den Druck auf jede und jeden Einzelnen und sorge für weniger Angst. Um Vielfalt wirklich zu fördern, seien besonders Führungskräfte gefragt. „Ich glaube, dass so eine wirkliche Veränderung in unserer Organisation stattfinden kann.“

Siemens Healthineers und Siemens USA waren Partner für WorldPride 2019 – die größte Pride-Feier weltweit, die ihr Engagement für Gleichberechtigung für alle zeigt.

WorldPride 2019

Lindsay Krakauer ist die Gründerin des Pride-Netzwerks bei Siemens Healthineers in den USA. Es handelt sich dabei um eine Gruppe von Mitarbeitern, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Bewusstsein und die Akzeptanz für lesbische, schwule, bisexuelle, Transgender (LGBTQ)-Mitarbeiter zu stärken. Krakauer gründete das Netzwerk 2010, nachdem sie ihr MBA-Programm abgeschlossen hatte, in dem sie sich unter anderem mit dem Thema Vielfalt beschäftigte. Zu dieser Zeit gab es bereits einige Mitarbeitergruppen bei Siemens Healthineers, aber Pride fehlte noch. Heute hat sich das Netzwerk zu einem globalen Programm für Vielfalt und Inklusion entwickelt.


Von Rebecca Murr

Rebecca Murr ist Redakteurin bei Siemens Healthineers.