Onkologie

Europäische Initiative Lungenkrebs: Fokus auf Früherkennung und effektive Therapie

Ein Plan der Europäischen Kommissionen soll Krebsfrüherkennung und -therapie verbessern. Könnten Lungenkrebspatient*innen davon ebenfalls profitieren?

5min
Matthias Manych
Veröffentlicht am 11. November 2021

Eigentlich beschwerdefrei und doch ernsthaft erkrankt – Lungenkrebs ist global betrachtet die zweithäufigste Krebsart und gleichzeitig die tödlichste. Denn mangels eindeutiger Symptome im Frühstadium wird sie häufig zu spät erkannt. Konzepte zur Früherkennung sind der Schlüssel, doch gerade diese Krebsart fordert Medizin und Gesundheitspolitik gleichermaßen heraus. Ein Besuch bei Professor Felix Herth, Leiter der Thoraxklinik an der Uniklinik Heidelberg.

Heidelberg ist ein Hotspot der Krebsforschung und -behandlung. Hier sind das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) das Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), das Heidelberger Institut für Radioonkologie (HIRO) und das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) angesiedelt. In diesem Netzwerk übernimmt die Thoraxklinik des Universitätsklinikums Heidelberg wichtige Funktionen. Sie ist die größte Lungenklinik Europas; unter anderem werden hier deutschlandweit die meisten Patient*innen mit Lungenkrebs behandelt. Für die Patient*innen ist es sicher ein großer Vorteil, in einem Zentrum mit dieser Erfahrung behandelt zu werden. Allerdings befinden sich sehr viele Krebserkrankte, die hier in die Sprechstunde kommen, bereits in einem behandlungsbedürftigen Stadium.
„Das ist ja das Problem“, sagt Prof. Herth, Chefarzt und medizinischer Geschäftsführer der Thoraxklinik, nicht nur in Bezug auf die hohe Zahl der zu behandelnden Lungenkrebspatient*innen.
Prof. Herth, Heidelberg in Germany
Denn das Fatale an der Erkrankung: Die Symptome von Lungenkrebs sind unspezifisch und oftmals werden Patient*innen erst dann in der Klinik vorstellig, wenn die Tumoren eine kritische Größe überschritten, Krebszellen die Lymphknoten befallen oder Metastasen ausgebildet haben. „Wir haben zwar deutlich verbesserte Therapiemöglichkeiten, sodass die Patient*innen deutlich länger und besser leben. Aber ich habe für Patient*innen in fortgeschrittenen Stadien keinen heilenden Therapieansatz“, erklärt Herth. Im Jahr 2017 erkrankten allein in Deutschland rund 57.000 Menschen neu an Lungenkrebs – davon starben etwa 45.000 an dieser Erkrankung.[1] Weltweit ist Lungenkrebs die tödlichste Tumorerkrankung.

Die hohe Sterblichkeitsrate verdeutlicht, dass es bei allen therapeutischen Fortschritten immer noch entscheidend ist, Lungenkrebs so früh wie möglich zu entdecken. Mit Ausnahme von kleinzelligen Bronchialkarzinomen können in diesem Stadium Tumoren chirurgisch entfernt und mit hoher Wahrscheinlichkeit geheilt werden. Doch in vielen Fällen findet die Früherkennung der bösartigen Zellveränderung zufällig statt, beispielsweise während Untersuchungen an der Wirbelsäule. Einheitliche Vorsorgeuntersuchungen könnten diese Versorgungslücke schließen. Der Heidelberger Lungenspezialist hofft sehr, dass genau das bald kommt, um mehr Patient*innen mit frühen Krebsstadien Aussicht auf Heilung geben zu können. 

Lung imaging
Die Computertomographie bietet sehr gute technische Voraussetzungen für ein Screening. Im Vergleich zum Röntgenbild sind im Computertomogramm exakte Darstellungen kleinerer Tumoren möglich. Da CT-Aufnahmen Schicht für Schicht entstehen, können Ärzt*innen anhand der feinen Schnittbilder auch die räumliche Tumorausdehnung beurteilen und erhalten wichtige Hinweise für eine mögliche Operation. Lange wurde in diesem Zusammenhang die Strahlenbelastung diskutiert. Denn das Risiko, möglicherweise einen strahleninduzierten gesundheitlichen Schaden zu verursachen, ist gerade für Vorsorgeuntersuchungen, der sich Personen über viele Jahre wiederholt unterziehen, nicht zufriedenstellend. Aktuelle CT-Techniken bieten die Möglichkeit für Untersuchungen mit sehr geringer Strahlendosis. Die dabei entstehende durchschnittliche Strahlendosis beträgt nur noch 0,6–0,8 Millisievert (mSv). Zum Vergleich: Die Höhenstrahlung bei einem Flug von Deutschland nach Japan verursacht eine Strahlenbelastung von bis zu 0,1 mSv.[2]
„Die Geräte, die wir jetzt einsetzen, sind schon so strahlenarm, dass ich keine Gefährdung für die zu Untersuchenden sehe“, erklärt Herth.
„Ein gutes Screening-Programm besteht aus einem komplexen Paket von Kriterien und Maßnahmen“, macht der Lungenspezialist deutlich. Hierzu gehört unter anderem, Standards zu definieren, die die Qualität der CT-Aufnahmen und deren Auswertung vorgeben. Ebenso festzulegen ist, wie Ärzt*innen die entstehenden Informationen wissenschaftlich auswerten können. Auch die Nachuntersuchungen sind eindeutig zu planen: Welche Patient*innen erhalten sie in welchen Zeitabständen? Nach Ansicht von Herth wird daher wahrscheinlich nicht jede Radiologiepraxis bzw. jedes radiologische Zentrum ein Screening anbieten können; das sollte eher an zertifizierten interdisziplinären Zentren erfolgen. 

Aufgrund der Vielzahl an bildgebenden Untersuchungen wird es auch viele entdeckte Lungenrundherde geben. Sie bedeuten nicht zwangsläufig Krebs, sondern können z. B. durch Tuberkulose oder einen Abszess entstanden sein. Herth deutet auf seinen Computermonitor, auf dem eine Niedrigdosis-Dünnschicht-CT-Aufnahme einer Lunge zu sehen ist. Jede einzelne aufgenommene Schicht ist nur 0,75 Millimeter „dick“. Zunächst fällt in der Querschnittsaufnahme das luftgefüllte Lungengewebe als schwarze Fläche auf. Dann scrollt der Pneumologe durch die Bildschichten und zeigt einen Rundherd von ca. 6 Millimeter Größe. Bei dieser Größe muss zunächst nichts unternommen werden. 

Dennoch ist eine Kontrolluntersuchung im CT nach sechs Monaten erforderlich: Als Raucher und aufgrund seines Alters (über 50 Jahre), hat der Patient, dessen Lunge gescannt wurde, ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko. In der Praxis ist zu erwarten, dass im Rahmen eines Screening-Programms viele Rundherde entdeckt werden. Eine umfangreiche Abklärung ist daher unerlässlich, denn nicht alle Befunde deuten automatisch auf eine bösartige Erkrankung hin: Gerade die optische Ähnlichkeit zwischen gut- und bösartigen Läsionen im CT bergen das Risiko einer Übertherapie, beispielsweise durch unnötige Biopsien. Um überflüssige Eingriffe zu vermeiden, fordern die Deutsche Röntgengesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, dass zertifizierte Zentren, an denen Fachärzt*innen verschiedener Disziplinen Befunde beurteilen können,[3] das Screening im Rahmen eines qualitätsgesicherten Prozesses übernehmen. Erfahrungen aus anderen Ländern, zum Beispiel Großbritannien, zeigen, dass durch diese Maßnahmen das Risiko unnötiger Eingriffe bei gutartigen Tumoren extrem gering ist.

Gewebebereiche in der Lunge, die im CT-Bild rundlich und hell erscheinen (Ärzt*innen sprechen von Verschattung oder Verdichtung), mit einem Durchmesser von bis zu 3 cm und deutlich begrenzten Rändern.
Um zu entscheiden, ob ein Lungenrundherd chirurgisch zu entfernen oder anderweitig zu therapieren ist, wird nicht nur dessen Größe beurteilt. Daneben ist die Entnahme einer Gewebeprobe, einer sogenannten Biopsie, das Kriterium der Wahl. Die Biopsie wird bei einer Bronchoskopie entnommen. Dafür müssen die Pneumolog*innen dem Verlauf der Atemwege folgen. Interventionelle Radiolog*innen verschaffen sich dagegen die Probe über eine Nadel von außen.

Immer mehr Techniken helfen, mit der Bronchoskopie Rundherde aufzuspüren und die Methode noch sicherer und genauer zu machen. So kann mittels virtueller Bronchoskopie anhand hochauflösender CT-Aufnahmen die Biopsie vorgeplant werden. Zukünftig werden roboterassistierte Navigationssysteme helfen, das flexible Bronchoskop mit Kamera und Sensoren durch die feinen Atemwege zu lenken. Wird noch eine Mikrowellensonde in den Arbeitskanal des Bronchoskops eingesetzt, könnte in der gleichen Sitzung ein Tumor durch den Einsatz von Wärme zerstört werden. Demnächst werden Herth und sein Team auch mit einem mobilen 3D Röntgengerät arbeiten, dass ähnliche Schnittbilder wie ein CT erstellt, das sogenannte Cone-Beam-CT. Diese kompakte Röntgeneinheit wird während der Bronchoskopie an den Patiententisch gefahren, sodass die Untersucher*innen mit Echtzeitaufnahmen sofort sehen, ob sie im Zielbereich angekommen sind.

Die Sonde, ebenfalls durch den Arbeitskanal an die Spitze des Bronchoskops geführt, gibt elektromagnetische Schwingungen an den Tumor ab. Dabei entsteht Hitze und der Tumor verkocht von innen.

Perspektivisch stellt Herth fest, dass es mit der Cone-Beam-CT und der Robotik nur noch wenige Nischen in der Lunge geben wird, die nicht erreichbar sind. Neben der „klassischen“ Bildgebung bietet die moderne Diagnostik weiteren Methoden, z.B. die Darstellung einzelner Zellen mit bildgebenden Verfahren oder mit Bronchoskopen. Abseits der Bildgebung wird u.a. die „Liquid Biopsy“ erforscht. Der Lungenexperte geht jedoch davon aus, dass zumindest in naher Zukunft kein Verfahren ausreichend Informationen liefern wird, um die Biopsie zu ersetzen. Denn sie liefern bislang weder die nötige Sensitivität noch Spezifität – denn für beides fordert Herth 95 Prozent.

Statt einer Gewebe- wird eine Blutprobe entnommen; die Methode ist also nicht invasiv. Mit ihr lassen sich grundsätzlich molekulargenetisch Tumorzellen bzw. Tumor-DNA nachweisen.

Die EU-Kommission schätzt, dass in den kommenden 10 bis 15 Jahren die Neudiagnosen für Krebs insgesamt um zirka 24 Prozent steigen werden – sofern nichts unternommen wird.[4] Der Europäische Plan gegen Krebs soll dieser Entwicklung etwas entgegensetzen. Innerhalb der Aktionsfelder Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität soll eine Vielzahl an Maßnahmen initiiert und mit insgesamt €4 Milliarden unterstützt werden. Für die Umsetzung hat die Kommission 10 Leitinitiativen formuliert, u.a. für ein EU-weites Krebszentrennetz, für bildgebende Verfahren bei Krebs, ein gleiches Recht auf Diagnostik und Behandlung und ein aktualisiertes Programm zur Krebsfrüherkennung. Letzteres könnte künftig mehr Krebsarten einschließen, als es bislang der Fall ist. Derzeit wird deshalb auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse geprüft, die Krebsfrüherkennung auf Lungen-, Prostata-, und Magenkrebs auszuweiten.[5] Diesen Plan betrachtet Herth besonders in Bezug auf das geforderte Lungenkrebs-Screening als einen ersten Schritt. Noch gebe es diverse Fragen zu klären. Etwa wer die Kosten dafür übernimmt, welche Personengruppen für das Screening in Frage kommen und wie viele fortgeschrittene Lungenkrebsfälle dadurch vermieden werden könnten. Ausschlaggebend ist, ob und wie ein entsprechend zu entwickelndes Früherkennungsprogramm auf nationaler Ebene umgesetzt und finanziert wird. Darüber entscheidet in Deutschland der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der nun am Zug ist – nachdem das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) das Verfahren bereits als positiv bewertet hat. Tatsächlich hat eine erfolgreiche Früherkennung für Krebspatient*innen deutliche Auswirkungen auf die Chance, die nächsten fünf Jahre zu überleben.

Unabhängiges Institut in Deutschland, mit dem gesetzlichen Auftrag, auf Basis von Studiendaten Vor- und Nachteile von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden festzustellen und darüber zu berichten.
Lungenkrebsscreening könnte dazu beitragen, die Überlebensrate zu verbessern.
Deshalb hat Professor Herth auch eine klare Vorstellung, wie sich der Therapiepfad für Lungenkrebspatient*innen mit einem erfolgreich eingeführten Lungenkrebs-Screening verändern würde. Stark vereinfacht bringt er es auf den Punkt: „Ich würde den oder die Patient*in dadurch früh, im Stadium 1 der Erkrankung behandeln können, er oder sie würde operiert und wäre geheilt.“
Entwicklungsstadium, in dem der Tumor noch klein oder mittelgroß ist und beginnt sich auszubreiten, aber die Lymphknoten noch nicht befällt und keine Metastasen gebildet hat.

Von Matthias Manych
Matthias Manych, Diplom-Biologe, ist freiberuflicher Wissenschaftsjournalist, Redakteur und Autor mit dem Schwerpunkt Medizin. Seine Arbeiten erscheinen hauptsächlich in Fachjournalen, aber auch in Zeitungen und online.