Innovationskultur

Die Frau, die Produkte formt

Unseren Produkten ihr unverwechselbares „Gesicht“ geben: Das ist die Aufgabe von Industrial Designerin Stefanie Gügel-Wild und ihren Teamkolleg*innen. Hinter dem Produktdesign steckt ein komplexer Entwicklungsprozess auf Basis von Design Thinking und User Experience. Erfahren Sie mehr in Teil drei unserer Serie #Futureshaper.
7min
Katja Gäbelein
Veröffentlicht am 4. April 2022

"Maker Space" steht in großen Lettern an der Wand der Werkstatt, in der die Produktdesigner*innen die ersten einfachen Prototypen fertigen – oft aus Leichtschaum-Platten und Klebstoff. Und ein*e „Macher*in“ muss man auch sein für diesen Job:

„Ein gewisses handwerkliches Talent sollte einer*m Produktdesigner*in schon in die Wiege gelegt sein“, sagt Stefanie Gügel-Wild lachend. Aber zum Produktdesign braucht es noch viel mehr als das – vor allem, wenn es um komplexe medizintechnische Geräte geht.

Stefanies erstes Herzensprojekt in Sachen Medizintechnik war die Gestaltung eines Brutkastens für Frühgeborene. Den konzipierte sie im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd. Dort hat sie Industrie- bzw. Produktdesign studiert: „Im Studium lernt man die Grundprinzipien und Prozesse des Gestaltens. Damit sollte man in der Lage sein, jegliches Produkt zu entwerfen“, erklärt die Designerin.

Entsprechend vielfältig waren Stefanies erste Jobs: Sie designte Kindermöbel, Spielzeug und Accessoires für einen Hersteller von Kinderprodukten. Dann jahrelang Elektronikgeräte wie Fernseher, Radios und Lautsprecher sowie Küchengeräte für eine großen Unterhaltungselektronik-Hersteller. Die Komplexität medizintechnischer Geräte faszinierte sie weiterhin. Und so kam sie 2019 zu Siemens Healthineers, wo sie heute als Lead Industrial Designerin im Industrial Design Team arbeitet.
Die Begriffe Produktdesign und Industriedesign werden häufig synonym verwendet.

#Futureshaper: Portrait von Stefanie Gügel-Wild

Wie entsteht ein neues Produkt bei Siemens Healthineers? In der Regel sei es so, dass technische Entwickler*innen aus den unterschiedlichen Geschäftsbereichen auf das Design-Team zugingen, sobald ein neues Produkt in Planung sei, erzählt Stefanie im #Futureshaper-Interview: „Zuerst ist wichtig zu verstehen: Was genau ist das Problem, das wir mit diesem Produkt lösen wollen?“

Ob technische*r Entwickler*in, kreative*r Business-Manager*in oder Produktdesigner*in: In unserer Reihe #Futureshaper stellen wir Mitarbeiter*innen vor, die mit ihren innovativen Ideen dazu beitragen, Pionierarbeit im Gesundheitswesen zu leisten.
Erfahren Sie mehr
Nie ist das Design eines Produktes nur „dekorativer“ Selbstzweck: Die Form folgt der Funktion, die das Produkt für die Anwender*innen und Patient*innen hat. Der Mensch steht im Zentrum aller Überlegungen. „User Experience“ ist das Stichwort: Das Produkt soll intuitiv zu bedienen sein und den User*innen einen tatsächlichen Mehrwert bieten. Deshalb startet jedes Projekt mit einer detaillierten Anwender*innenbefragung, zum Beispiel in Kliniken oder bei niedergelassenen Mediziner*innen. Welche konkreten Anforderungen haben die Nutzer*innen?
Über die dort generierten Infos hinaus brauchen Produktdesigner*innen ein breit gefächertes Hintergrundwissen und weitere Recherchen. In Kooperation mit den technischen Entwickler*innen und Kolleg*innen aus dem User Experience Team klären sie Fragen wie: Welchen Bauraum nehmen die technischen Komponenten innerhalb des Produkts ein? Welche Bedienelemente sind nötig? Mithilfe welcher Verfahren werden das Produkt und seine Einzelteile später gefertigt? Welche Anforderungen ergeben sich bezüglich der Hygiene-Auflagen? Und was darf das Produkt am Ende kosten?
Unser UX-Team sucht Unterstützung! Neugierig geworden?
Hier geht es zu den aktuellen Stellenanzeigen
Dann geht Stefanies Arbeit erst richtig los. Ein langer Atem ist gefragt: „Der Entwicklungsprozess eines Medizintechnik-Produkts vom ersten Entwurf bis zur Markteinführung dauert im Durchschnitt zwei bis drei Jahre“, erklärt die 42-Jährige. 

Während dieser Zeit bauen die Produktdesigner*innen zig verschiedene Modelle, sogenannte Mockups. Hier wird nicht nur geschnitten, geklebt und geschraubt, sondern längst auch in digitalen 3D-Räumen simuliert und getestet– mithilfe einer Software für computergestützte 3D-Modellierung oder VR-Brillen.

Bei der Entwicklung neuer Produktdesigns geht das Team nach einem festgelegten System vor, das sich an der Methode des „Design Thinking“ orientiert:
Eine menschenzentrierte Innovationsmethode, die dazu dient, Probleme zu lösen und neue Ideen zu entwickeln. Interdisziplinäre Teams gehen anhand eines mehrstufigen Kreativ-Prozesses vor. Das Ziel: Die beste Lösung für Anwender*innen finden.

Während des Entwicklungsprozesses sind Stefanie und ihre Kolleg*innen im engen Austausch mit den Patentanwält*innen der Abteilung „Intellectual Property“, um ihre Designs international gegen Nachahmung abzusichern: Im Unterschied zu Patenten, die technische Entwicklungen abdecken, wird durch ein Design die ästhetische Gestaltung geschützt. Dabei kann die bloße Form eines Geräts, aber auch die ganz konkrete Ausgestaltung in Form und Farbe geschützt werden. Siemens Healthineers hält weltweit mehr als 1.600 solcher Schutzrechte. 

Was die visuelle Gestaltung angeht, ist jedes Produkt von Siemens Healthineers ein Stück weit individuell. Doch natürlich gibt es auch für das Produktdesign ein Design-System – mit dem Ziel, einen unverwechselbaren Look zu generieren, der für die Markenwerte steht. „Shui“ heißt das übergeordnete Design-System bei Siemens Healthineers. Stefanie hat die Industrial Design Specifications für dieses System mit ausgearbeitet:

„(…) die (…) Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur (…) des Erzeugnisses selbst oder seiner Verzierung ergibt.“

Quelle:
https://dejure.org/gesetze/DesignG/1.html
Immer wieder wird das Industrial Design Team für seine Arbeit mit verschiedenen Awards ausgezeichnet. Für das Design des Magnetresonanztomographen MAGNETOM Free.Max hat das Team 2021 den „Red Dot Design Award“ gewonnen. Stefanie war federführend für dessen Gestaltung verantwortlich.
Der „Red Dot Design Award“ ist ein internationaler Designwettbewerb für Produktdesign:
Erfahren Sie mehr
#Futureshaper: “Red Dot” winner MAGNETOM Free.Max
In der Begründung der Jury heißt es: „MAGNETOM Free.Max überrascht mit ungewöhnlichen Dimensionen, die durch das puristische Design souverän in Szene gesetzt werden.“

Zwei zentrale Produktvorteile des MAGNETOM Free.Max hängen neben der Innovation in der technischen Entwicklung entscheidend mit seinem Design zusammen: Die Transporthöhe und der Durchmesser der Röhre. „Früher mussten sogar Krankenhauswände eingerissen werden, um einen MRT ins Gebäude zu bringen“, erklärt Stefanie. Der MAGNETOM Free.Max dagegen passt mit einer Transporthöhe von unter zwei Metern bequem durch normale Türen.
Hier erfahren Sie mehr über den MAGNETOM Free.Max:
MAGNETOM Free.Max Produktseite (engl.)
Eine weitere Besonderheit: Die große Röhre mit einem Durchmesser von 80 Zentimetern – die bislang größte eines Ganzkörper MRT. So können auch Patient*innen, die ängstlich, klaustrophobisch oder sehr korpulent sind, komfortabel untersucht werden.
Der Standard-Durchmesser einer MRT-Röhre liegt bei 60 bzw. 70 Zentimetern.
Der Erfolg des Teams sei für sie immer das Wichtigste, sagt Stefanie. Wenn sie nach einer so langen Entwicklungszeit vor dem fertigen Produkt steht, erfüllt sie das mit Stolz: „Und wenn wir dann zusätzlich noch einen Award gewinnen, ist das natürlich toll.“
Ebenfalls interessiert, unserem passionierten Team beizutreten?
Besuchen Sie unser Karriere-Portal
Färbt der Beruf des*der Produktdesigner*in eigentlich auf das Privatleben ab? „Natürlich betrachtet man die Produkte im täglichen Leben mit anderen Augen. Ob Architektur, Mode oder Autos: Alles ist gestaltet – mal besser, mal weniger gut. Es gibt den Spruch: Gestalter ist eigentlich kein Beruf, sondern eine Berufung. Daher ist es selbstverständlich, dass man auch im Privatleben nicht aus seiner Haut kann.“ So habe sie beim privaten Hausbau sogar die Beschattung der Terrasse im 3D-Programm vorsimuliert, gesteht Stefanie lachend: „In welchem Winkel scheint die Sonne, welcher Schattenwurf ist nötig…“ Echte Macher*innen überlassen eben nichts dem Zufall.

Von Katja Gäbelein

Katja Gäbelein ist Redakteurin in der Unternehmenskommunikation bei Siemens Healthineers und spezialisiert auf Technologie- und Innovationsthemen. Sie arbeitet als Autorin für Text und Film. 

Redaktionsassistenz: Guadalupe Sanchez