Zugang zu Gesundheitsversorgung

Behandlung nicht übertragbarer Krankheiten neu denken 

Wie Partnerschaften die Gesundheitssysteme in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen stärken können. 

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Niels Anner
Veröffentlicht am April 24, 2023

Um die Gesundheitssysteme in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu stärken, sind Partnerschaften auf verschiedenen Ebenen - international, lokal, öffentlich und privat - der Schlüssel. Das Weltwirtschaftsforum und die City Cancer Challenge Foundation unterstützen und organisieren neue Lösungen, die in der ganzen Welt erprobt werden, insbesondere im Bereich von nicht übertragbaren Krankheiten (NCDs). Siemens Healthineers arbeitet mit ihnen zusammen, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle zu fördern. 

Drei Jahre lang waren die Gesundheitssysteme durch die Covid-19-Pandemie belastet. Heute haben sie immer noch zu kämpfen - mit Warteschlangen bei der Behandlung, Verzögerungen bei Impfungen für Kinder und einem Mangel an Gesundheitspersonal. Die Pandemie hat die Gesundheitslücke in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen offengelegt und verschärft, insbesondere bei Krankheiten, die in diesen Jahren nicht im Fokus standen - die sogenannten NCDs wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Schlaganfall. 77 Prozent aller Todesfälle durch NCDs treten in diesen Ländern auf.[1]

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Dies, so Kelly McCain, ehemalige Leiterin der Abteilung für Gesundheit und Gesundheitsinitiativen beim Weltwirtschaftsforum (WEF), ist für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ein „unglaublicher Umbruch". „Es wird für diese Länder wirklich wichtig sein, die Art und Weise zu überdenken, wie sie Pflege bereitstellen und in sie investieren.“
McCain und ihr Team haben die Gesundheitstrends mit besonderem Schwerpunkt auf ressourcenarmen Ländern analysiert, da das WEF eine von vielen Organisationen ist, die sich dem Kampf gegen NCDs verschrieben haben. Obwohl der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen und erschwinglichen Gesundheitsversorgung ein grundlegendes Menschenrecht ist, hat mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung keinen Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdiensten. Die Aufgabe besteht nun darin, aus den Erfahrungen zu lernen, denn selbst während der Pandemie gab es „viele Lichtblicke, viele Innovationen und viele Partnerschaften", so McCain.

Zusammenarbeit und starke, relevante Partnerschaften, sowohl auf internationaler als auch auf lokaler Ebene, sind für diese Bemühungen von entscheidender Bedeutung. Regierungen, der Privatsektor und die Gemeinden müssen zusammenarbeiten, so McCain, um sicherzustellen, dass der/die Einzelne besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung hat und das Gesundheitssystem nachhaltiger und widerstandsfähiger wird.

Siemens Healthineers hat sich verpflichtet, eine führende Rolle zu spielen, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verbessern und ein effektiveres Management zu ermöglichen. Das Unternehmen will dieses Ziel erreichen, indem es die Zahl der Patient*innenkontakte mit seiner Technologie in unterversorgten Ländern erhöht. Seit dem Start des Nachhaltigkeitsprogramms im Jahr 2020 ist die Zahl dieser Kontaktpunkte um 44 % oder 65 Millionen gestiegen (+38 Millionen im Jahr 2022). Heute haben weltweit etwa 212 Millionen Menschen Zugang zu den Technologien. Mit diesem Ziel vor Augen werden auch die Gesundheits- und Pflegeinitiativen des WEF unterstützt.

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In den letzten Jahren sind weltweit gute Beispiele für die Zusammenarbeit und das Einbeziehen von Gemeinden in die Versorgung nicht übertragbarer Krankheiten entstanden, die als Vorbilder für andere dienen können. In Ländern wie Mexiko, Brasilien und Ägypten gibt es Krebsvorsorgeprogramme, die mindestens 70 Prozent der Bevölkerung abdecken, erklärt McCain. Erreicht wurde dies durch solide Programme zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit und einen verbesserten Zugang durch mobile Dienste oder die Mitnahme von Screening-Geräten in kommunale Versorgungszentren. 

Während der Pandemie haben sich in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen Alternativen zum krankenhausbasierten Gesundheitsmodell entwickelt, erklärt McCain. Sowohl die Primärversorgung als auch die NCD-Versorgung wurden zunehmend in die Gemeinden und in die Haushalte verlagert. Dies war während der Pandemie sicherer, kosteneffizienter und trug dazu bei, die Belastung des zentralen Gesundheitssystems erheblich zu verringern.

Eine wichtige Entwicklung ist der Übergang zu digitalen Tools für Konsultationen und Screenings, sowie das Zusammenbringen von Patient*innen mit den besten Spezialist*innen oder Anbieter*innen entlang des Behandlungspfads. „Es ist faszinierend zu sehen, wie die virtuelle Versorgung ihren Platz weiter gefestigt hat", sagt McCain. Sie hat den Patient*innen einen besseren Zugang zur Versorgung verschafft - und den medizinischen Fachkräften neue Möglichkeiten gegeben, die Versorgung durchzuführen. McCain zufolge sind einige der interessantesten und sogar potenziell skalierbaren Lösungen in Ländern mit geringerer Anbindung entstanden. 

Ein Beispiel dafür ist Ruanda, wo im Durchschnitt nur ein Arzt auf 60.000 Menschen kommt. Zusammen mit Partner*innen aus dem Privatsektor wurde eine digitale Infrastruktur für die Gesundheitsberatung aufgebaut, die von über 30 Prozent der Bevölkerung genutzt wird. Das System bietet sogar eine KI-unterstützte Triage und eine Plattform zur Überprüfung von Symptomen. Jemand, der sich wegen Kopfschmerzen Sorgen macht, kann mit Hilfe dieser Tools möglicherweise beruhigt werden, ohne einen Arzt aufsuchen zu müssen.

Produkte, die durch künstliche Intelligenz unterstützt werden, werden mit Daten und Informationen gefüttert. Sie sind intelligent genug, diese Daten zu klassifizieren, um genaue Vorhersagen und Vorschläge zu erstellen. Seit 2020 hat Siemens Healthineers die Zahl der KI-gestützten Produkte und Lösungen in seinem Portfolio um 21 auf jetzt 84 erhöht.

Infografik in Englisch

Facts & Figures of non-communicable diseases

Was die künstliche Intelligenz anbelangt, so sagt McCain, dass die Technologie „revolutionär" sein kann, wenn es darum geht, Krankheiten zu diagnostizieren und frühzeitig zu erkennen. KI macht einen echten Unterschied in der Bildgebung, von Röntgenstrahlen bis Ultraschall, unabhängig vom Standort, erklärt sie. So kann beispielsweise in Afrika südlich der Sahara eine Computertomographie der Brust durchgeführt werden, und dieser Scan kann dann mit der heutigen Technologie von jemandem in einem anderen Teil der Welt überprüft werden. „Man lagert einen Teil des Fachwissens aus, das im eigenen Land vielleicht nicht vorhanden ist", sagt McCain.

Auch in den Augen von Isabel Mestres ist Zusammenarbeit ein Schlüsselmerkmal. Sie ist Geschäftsführerin der City Cancer Challenge Foundation (C/Can), einer Organisation, die Städten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen hilft, den Zugang zu einer gerechten und hochwertigen Krebsversorgung zu verbessern. Derzeit nehmen 13 Städte an dem Programm teil, darunter Leon, Mexiko, Nairobi, Kenia, und Phnom Penh, Kambodscha.
Wenn eine Stadt für das Programm ausgewählt wird, bindet C/Can „ein riesiges Ökosystem von Interessengruppen" ein, wie Mestres es beschreibt: alle Regierungsebenen, Gesundheitsdienstleister, Forschungseinrichtungen und Patient*innenorganisationen. Nach einer gründlichen Bewertung der Daten zu allen klinischen Leistungen, finanziellen und personellen Qualitätsaspekten, wie Leitlinien und Protokollen, und unter Einbeziehung der Patient*innenperspektive unterstützt C/Can die Stadt bei der Ermittlung von Lücken, der Festlegung von Prioritäten und der Konzeption, Entwicklung und Umsetzung von Projekten zur Verbesserung der Krebsversorgung. Durch kontinuierliche Dokumentation und Überwachung können die gewonnenen Erkenntnisse anderen Städten und Ländern zugute kommen.

Siemens Healthineers ist einer der Implementierungspartner von C/Can. Varian unterstützt seit Jahren die Bemühungen von C/Can, digitale Gesundheitslösungen für die Krebsbehandlung zu finden. Dazu gehört auch die Fernausbildung und -schulung, um die Zahl der Krebsmediziner*innen vor Ort, die Patient*innen behandeln können, zu erhöhen. 

Der kollaborative Ansatz, so Mestres, stellt sicher, dass alle Beteiligten über alle Disziplinen und Sektoren hinweg miteinander verbunden sind und ihr Fachwissen zusammenbringen, um Kosteneffizienz und maximale Wirkung der Maßnahmen zu gewährleisten. In Kigali, Ruanda, hat eine digitale Lösung beispielsweise fünf Krebszentren in der Stadt und darüber hinaus miteinander verbunden, um den Zulauf von Brust- und Gebärmutterhalskrebspatienten zu optimieren und die Zeit von der Diagnose bis zur Behandlung zu verkürzen.

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Internationale Partnerschaften sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um die Gesundheitsfinanzierung zu verbessern und den Zugang zu Gesundheitstechnologien zu erleichtern. So arbeitet C/Can beispielsweise mit der zur Weltbank gehörenden International Finance Corporation (IFC) zusammen, um den Zugang zu bildgebender Diagnostik in Ghana zu verbessern. „Das ist etwas, woran wir sehr interessiert sind, und wir freuen uns auch auf die Zusammenarbeit mit Siemens Healthineers", sagt Mestres. 

Eine andere Form der Zusammenarbeit hilft beim Aufbau von Kapazitäten durch Wissenstransfer. Die Entwicklung der technischen, aber auch der sozialen Fähigkeiten des Gesundheitspersonals hat hohe Priorität, sagt Mestres: „Wir arbeiten mit über 70 internationalen Partner*innen zusammen, um die Städte beim Aufbau von Kapazitäten zu unterstützen". Eine der Prioritäten, die in allen Städten ermittelt wurden, ist beispielsweise die Verbesserung der Frühdiagnose. „In Zusammenarbeit mit dem Katalanischen Institut für Onkologie in Barcelona, Spanien, und einer Arbeitsgruppe internationaler Expert*innen entwickelte C/Can eine E-Learning-Schulung über frühe Anzeichen und Symptome für alle Angehörigen der medizinischen Grundversorgung in der Stadt. Dieser Kurs wurde an die örtliche Universität übertragen, um die Ausbildung zukünftiger Fachkräfte zu fördern", fügt Mestres hinzu. 

Um einen nachhaltigen Wandel voranzutreiben, ist ein lokaler Fokus entscheidend, betonen sowohl Isabel Mestres als auch Kelly McCain. Ein Bottom-up-Ansatz ermöglicht es der Gemeinschaft, den Wandel auf der Grundlage realer Daten voranzutreiben, und verbessert die Chancen auf eine langfristige Umgestaltung des Gesundheitssystems, sagt Mestres: „Wir versuchen, all diese von den lokalen Akteuren ermittelten und entwickelten Lösungen zu übernehmen und die richtigen Partner*innen und Fachleute einzubinden, um die Menschen vor Ort zu unterstützen, sie voranzubringen und sie auf die nationale Ebene und darüber hinaus auszuweiten". So entstehen lokal verankerte Ansätze und Kommunikation, die für die Gemeinschaft von Bedeutung sind - nachhaltige Lösungen.

Healthcare: A global challenge
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Healthcare: A global challenge
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Learn about burden of non-communicable diseases like cancer and heart disease in low- and middle-income countries. Hear about new ways to improve access to care in these countries and learn how the World Economic Forum and the City Cancer Challenge Foundation push for meaningful change.

Von Niels Anner
Niels Anner ist ein unabhängiger Journalist mit Sitz in Kopenhagen. Er schreibt über Wissenschaft, Gesundheit, Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft in Nordeuropa.