Innovationskultur

Radiologie: Wie ein ganzheitliches Konzept Kindern die Angst nimmt

Ein innovatives, kindgerechtes Konzept rund um die Giraffe Gerda hilft, die Angst von Kindern vor radiologischen Untersuchungen zu reduzieren und gleichzeitig die Bildgebungsergebnisse zu verbessern.
Katja Gäbelein
Veröffentlicht am May 13, 2024
Mit kreativen Methoden und einem multidisziplinären Team haben wir einen ganzheitlichen Ansatz entwickelt, der bildgebende Untersuchungen wie Magnetresonanztomographie (MRT), Computertomographie (CT) und Fluoroskopie für Kinder, Eltern und medizinisches Personal stressfreier macht – und waren dabei stets ganz nah dran an der Zielgruppe der Drei- bis Neunjährigen. Und jetzt: Vorhang auf für Gerda, die mutige Giraffe!
<p>Nein, Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie unterscheiden sich in physischen, kognitiven und emotionalen Aspekten. Doch genau wie Erwachsene brauchen Kinder medizinische Untersuchungen: Etwa zehn Prozent[1] aller MRT-, CT- und <a href="Fluoroskopie">Fluoroskopie</a>-Untersuchungen betreffen Kinder – Tendenz steigend.</p>
Eine medizinische Bildgebungstechnik, bei der Röntgenstrahlen verwendet werden, um in Echtzeit Bilder von inneren Organen und Strukturen des Körpers zu erstellen. Im Unterschied zur statischen Röntgenaufnahme wird dabei ein bewegtes Bild aufgenommen.
<p>Sterile Räume. Fremde Klinikmitarbeiter*innen. Ein Kontrastmittel gespritzt bekommen, das sich ungewohnt heiß oder kalt anfühlt. Seltsame Geräte mit engen Röhren, in denen man ganz allein still liegen und sogar das Atmen kontrollieren muss. Unbekannte Geräusche: Solchen Situationen begegnen Patient*innen teils bei CT-, MRT- oder Fluoroskopie-Untersuchungen. Was schon vielen Großen mindestens Respekt einflößt, ist für die Kleinen oft einfach nur beängstigend. Und viele Kinder schaffen es noch nicht, so still zu halten, wie es für die Scans eigentlich nötig wäre. Dementsprechend hoch ist das Risiko von fehlerhaften Bildern durch <a href="Bewegungsartefakte">Bewegungsartefakte</a> oder von Scan-Abbrüchen.</p>
Bildstörungen, die durch Bewegung des Patienten während einer medizinischen Bildgebungsuntersuchung entstehen. Sie können zu unscharfen Bildern, Doppelkonturen oder anderen Bildfehlern führen, die die Diagnose erschweren.
<p>In einigen Fällen ist es notwendig, die Kinder zu sedieren, d. h. sie durch Medikamente in einen schlafähnlichen Zustand zu versetzen. Dieser Ansatz birgt jedoch gesundheitliche Risiken und kann das Stress-Level der Kinder und ihrer Eltern erhöhen. Zudem dauern die Untersuchungen durch den zusätzlichen Arbeitsschritt länger. Das medizinische Personal hat deshalb eine höhere Arbeitsbelastung. Die Untersuchungskosten steigen, denn für die Sedierung muss zusätzliches Personal hinzugezogen werden. Laut Studien liegt die Fehlerquote bei Scans mit Sedierungen bei sieben Prozent[2]. Insgesamt kann es den klinischen Ablauf also empfindlich stören, wenn kleine Patient*innen nicht kindgerecht auf das vorbereitet wurden, was auf sie zukommt.</p>
Die Abbildung zeigt eine Illustration im Dschungelthema. Ein fröhlicher Affe hängt an einem Ast über einem großen MRI-Scanner, während ein anderer links vom Scanner verkleidet als Arzt bereitsteht. Zwei neugierige Giraffen schauen zu.
<p>Dieser Vorbereitungsprozess ist in vielen Kliniken bislang nicht standardisiert, erklärt Alexandra Zahn: „Wir wollten deshalb einen Ansatz schaffen, der Kindern Hilfe zur Selbsthilfe bietet: Die Geschichte von der mutigen Giraffe Gerda und die dazugehörigen Materialien sollen Kindern helfen, sich selbst zu 'empowern' und gestärkt in diese ungewohnte Situation zu gehen“. Zahn ist Senior Key Expertin für das Thema „Patient Centric Healthcare Transformation“ bei Siemens Healthineers. Sie hat „Pediatric Radiology Experience“ vor etwa zwei Jahren mit ins Leben gerufen. Das Projekt verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der auch Eltern und klinisches Personal einbezieht, um der gegenseitigen Übertragung von Stress und Angst vorzubeugen.</p>
<p>Ganz nah an den (kleinen) Menschen – das ist das Konzept entlang des gesamten Patientenpfades, das ein Team von multidisziplinären Expert*innen aus Feldern wie <a href="User%20Experience%20Design">User Experience Design</a>, Produktdesign oder Mechatronik entwickelte. In zahlreichen Co-Creation-Sessions mit Kindern im Alter zwischen drei und zehn Jahren wurden Problemstellungen definiert, Lösungsansätze im Praxistest von Kinderhänden ausprobiert oder „mit kindlichem Blick“ weitergedacht.</p>
Ein ganzheitliches menschenzentriertes Design steht bei unseren medizintechnischen Geräten im Fokus.
Hier erfahren Sie mehr.

Portrait von Alexandra Zahn, Senior Key Expert Patient Centric Healthcare Transformation, selbst mehrfache Mutter und Leiterin des Projektes Pediatric Experience. Alexandra trägt eine weiße Bluse mit einer zeitlos designten goldfarbenen Kette und ist vor einem hellgrauen Hintergrund fotografiert.

<p>Regelmäßig gab es Workshops mit Radiolog*innen, Medizinischen Technolog*innen für Radiologie (MTR), Psycholog*innen, Child-Life Spezialist*innen, Erzieher*innen, Spieltherapeut*innen und Eltern. Für die Präzisierung der Problemstellung und praktische Tests arbeitete unser Team eng mit renommierten klinischen Partnern zusammen: Dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden, dem Universitätsklinikum Erlangen, der Charité <b id="isPasted">–</b>Universitätsmedizin Berlin sowie dem Universitätskrankenhaus Basel.</p><p><strong id="isPasted">Menschenzentriertes Design – was heißt das? Im Video erfahren Sie mehr:&nbsp;</strong></p>
<p>Bei dem groß angelegten Projekt ging das Team sehr methodisch vor: Mithilfe von <a href="Design-Thinking-Methoden">Design-Thinking-Methoden</a> und unterschiedlichen Innovationsansätzen tastete es sich Schritt für Schritt vorwärts – und ging manchmal, im übertragenen Sinne, auch wieder einen Schritt zurück. Das sei so gewollt und Teil des Verfahrens, erklärt Alexandra Zahn: Es handelt sich um einen iterativen Prozess, bei dem alle vorherigen Prozessschritte jederzeit wiederholt werden können, um das Produktdesign zu optimieren und das Konzept weiterzuentwickeln.</p>
Eine menschenzentrierte Innovationsmethode, die dazu dient, Probleme zu lösen und neue Ideen zu entwickeln. Interdisziplinäre Teams gehen anhand eines mehrstufigen Kreativ-Prozesses vor. Das Ziel: Die beste Lösung für Anwender*innen finden.
<p>Nachdem sich das Team in engem Austausch mit allen Zielgruppen ausgiebig mit dem <strong>Verstehen&nbsp;</strong>des Problemraums auseinandergesetzt und eine <strong>Definition</strong> des Lösungsrahmens vorgenommen hatte, startete es in die <strong>Ideenfindungs</strong><strong>-Phase</strong>, also die Suche nach konkreten Lösungen in Brainstorming-Sessions. Dabei kam zunächst die Idee auf, ein Kinderbuch zur Vorbereitung auf die Untersuchungen zu entwerfen. Der erste <strong>Prototyp&nbsp;</strong>entstand:</p>
<p>Die Prototypen wurden zur <strong>Implementierung&nbsp;</strong>(Umsetzung)<strong>&nbsp;</strong>in der Praxis zu unseren klinischen Partnern gegeben. Das heißt, Kinder und Eltern testeten sie unter Anleitung des medizinischen Personals:</p>
<p>2022 wurde das Konzept Pediatric Radiology Experience mit dem <a href="UX%20Design-Award">UX Design-Award</a> des Internationalen Design Zentrums Berlin (IDZ) ausgezeichnet. Doch auf dem Erfolg ruhte sich das Team nicht aus: Mit den aus den ersten klinischen Einsätzen gewonnenen Erfahrungen und praktischem Feedback ging es „zurück auf Los“, also in die Phase des <strong>Verstehens</strong>.</p>
Hier geht es zur Seite des UX Design Awards über "Pediatric Radiology Experience":
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<p>Durch das Feedback der klinischen Partner wurde klar, dass es weitere Herausforderungen gab, die der bisherige Ansatz noch nicht adressierte, erzählt Zahn. „Bei unserem menschenzentrierten Ansatz ist es wahnsinnig wichtig, dass unsere Ideen zu den Bedürfnissen der Nutzer*innen passen. Daher justieren wir immer wieder nach. Unser Motto ist: Learn fast. Fail fast. Adapt fast.“ Nach der <strong>Definition</strong> der neuen Herausforderungen ging es schnell in die nächste <strong>Ideation</strong>-Session:</p>
<p>Das Team verfolgte die Idee des Lernsimulators weiter. Und so entstand auch dafür der erste <strong>Prototyp</strong>, der später zu einem richtigen Produkt werden sollte:</p>
Was den Ideenansätzen zum Lernsimulator noch fehlte, waren interaktive, digitale Komponenten. Und so entschied sich das Team dazu, auf eine neue Innovationsmethode zu setzen, um das Konzept weiterzuentwickeln: Im Mai 2023 nahm es mit dem Projekt an einem Hackathon teil.
Das Projekt kommt in der Praxis gut an: „Wir hören beispielsweise von unseren klinischen Partnern am Universitätsklinikum Dresden, dass sie von Kindern, ihren Eltern und dem klinischen Personal sehr positive Rückmeldungen auf unser Konzept bekommen“, sagt Alexandra Zahn.
<p>Am Ende kann der ganzheitliche Ansatz dazu beitragen, dass alle an den Untersuchungen Beteiligten zufriedener und entspannter sind: Klinischem Personal kann er dabei helfen, im hektischen Klinikalltag einem standardisierten Prozess zur Vorbereitung der kleinen Patient*innen zu folgen, bessere Bildgebungsergebnisse zu erzielen, Sedierungsraten herunterzufahren und somit neben Risiken auch Zeit und Kosten zu sparen.&nbsp;<br><br>Eltern kann er helfen, entspannt durch den „medizinischen Dschungel“ zu kommen und ihre Kinder dadurch besser vor und während der Untersuchung begleiten zu können. Kinder nimmt er in ihren Bedürfnissen ernst und hilft ihnen, mit der ungewohnten Situation besser umzugehen – durch Information oder auch Ablenkung. Außerdem hat er das Potenzial, bei Kindern die Bereitschaft zur Teilnahme an einer tatsächlichen Therapie zu fördern, die häufig auf eine bildgebende Untersuchung folgt.</p>
Eine farbenfrohe Kinderzeichnung zeigt eine gelbe Giraffe mit braunen Flecken und den Text “siemens helfinirs” in mehrfarbigen Buchstaben.

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<p>Das Konzept ließe sich auch auf die Therapie selbst ausweiten, wie beispielsweise eine Strahlentherapie bei Krebs, sagt Alexandra Zahn. Gerda und ihre Freunde könnten die Kinder über die gesamte Zeit der Erkrankung begleiten. Auch eine Anpassung auf andere Patient*innengruppen, die eine besonders einfühlsame Behandlung brauchen, wäre denkbar, wie zum Beispiel Autist*innen oder Demenz-Patient*innen.&nbsp;<br><br>Für die letztgenannten Patient*innengruppen wird Gerda Giraffe sicher nicht die richtige Protagonistin sein. Aber Alexandra Zahn und unserem kreativen Team fällt auch dazu garantiert etwas ein. Also: alles zurück auf <strong>Verstehen</strong>. Und vorher gemeinsam das Mut-Mach-Lied anstimmen:</p>

Der Mut-Mach Song

Der Mut-Mach Song
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Der Mut-Mach Song
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Von Katja Gäbelein
Katja Gäbelein ist Online-Redakteurin und Content Creator für Multimedia-Inhalte bei Siemens Healthineers. Sie ist spezialisiert auf Technologie- und Innovationsthemen.